Predigt

Markus 8,31-38
31 Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen
werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet
werden und nach drei Tagen auferstehen. 32 Und er redete das Wort frei und offen. Und
Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. 33 Er aber wandte sich um, sah
seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh hinter mich, du Satan! Denn du
meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist. 34 Und er rief zu sich das Volk
samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich
selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. 35 Denn wer sein Leben behalten
will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des
Evangeliums willen, der wird’s behalten. 36 Denn was hilft es dem Menschen, die ganze
Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele? 37 Denn was kann der
Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? 38 Wer sich aber meiner und meiner Worte
schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch
der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit
den heiligen Engeln.


Herr, segne unser Reden und Hören durch deinen Heiligen Geist. Amen.

Predigt
Liebe Gemeinde,
die Krokusse blühen und der Frühling bahnt sich langsam seinen Weg. Es gibt auch
Hoffnungszeichen, dass die Pandemie ihren Schrecken verliert und es Aussicht auf
weitere Lockerrungen geben wird. Und doch sind wir seit Donnerstag fassungslos und
sprachlos. Ein Angriffskrieg in Europa. Die Ukraine wurde von Russland angegriffen.
Viele Menschen sind nicht nur sprachlos, sondern auch hilflos.
Was können wir tun? Verhandeln hat nicht geholfen – wir sehen die schrecklichen
Kriegsbilder – und spüren die eigene Ohnmacht.
In den sozialen Medien wird aktuell viel der Hashtag „PrayforUkraine“ geteilt, also „Betet
für die Ukraine“.
Für uns als Christen ist Beten nicht die letzte Option, sondern eine wichtige Option. Denn
Gott ist nicht nur ein Gott für die guten Zeiten, sondern auch für die schweren Zeiten.
Viele Menschen haben die Vorstellung, dass Gott nur der liebe Gott ist. Ganz lieb, aber
auch ganz harmlos und letztlich belanglos – ohne eine Relevanz für mein Leben, ohne
Relevanz für das Leben. Auch im Glauben vieler Christen spielt eher der liebende Gott
eine zentrale Rolle: Der liebe Gott, der uns trägt und beschützt. Beliebt sind Sätze wie „Du
kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.“
Und doch stolpern Menschen auf ihrem Lebensweg, sie fallen hin, manchmal fallen sie
tief. Martin Luther nannte dies die Zeiten der Anfechtung. Zeiten, in denen alles
durcheinander gewirbelt wird und wir merken: Wir können nichts tun, wir haben es nicht
in der Hand. Martin Luther fühlte sich in diesen Zeiten als Spielball der Mächte. Er betete:
„Gott behüte uns vor den hohen Anfechtungen (…) wo man nicht weiß, ob Gott Teufel
oder der Teufel Gott ist.“ Die Anfechtung hat bei Martin Luther also auch seinen Glauben
und seine Vorstellung von Gott durcheinandergewirbelt.
Die Erfahrung der Corona-Pandemie war für viele Menschen solch eine Erfahrung des
Durcheinanderwirbelns und der Anfechtung. Der Soziologe Hartmut Rosa stellte 2021 den
radikalen Stopp aller Machbarkeit vor dem Virus fest: „Wir können es nicht sehen, hören,
riechen, tasten oder schmecken. Damit untergräbt es unsere Selbstwirksamkeit. (…)
Corona ist die Manifestation des Albtraums der Moderne. Es symbolisiert und
manifestiert das radikale Unverfügbarwerden der Welt.“ Und jetzt angesichts der
Bombardierung der Ukraine durch Russland erfahren wir wieder diese Hilflosigkeit und
Ohnmacht.
Wir merken: Wir haben unser Leben, wir haben diese Welt nicht im Griff, wir sind
Spielball eines Virus geworden, der Krieg in der Ukraine stellt die Weltordnung in Frage.
Viele Menschen fragen: Bewahrt uns Gott vor diesem Virus? Warum lässt Gott den Krieg
zu? Wir dachten, dass Gott ein liebender Gott ist. Wir dachten doch, dass wir nicht tiefer
fallen können als in Gottes Hand?
Ein einseitiger, naiver Glaube trägt nicht in solchen Zeiten der Anfechtung.
Der Weg der Jünger von Jesus war kein geradliniger, sondern voller Anfechtungen. Sie
meinten in einem Moment, sie hätten Jesus verstanden. Und wenige Situationen später
scheinen sie wieder gar nichts verstanden zu haben. Im 8. Kapitel des Markusevangeliums
wird das in verschiedenen Szenen deutlich. Am Anfang des Kapitels steht das Wunder der
Speisung der 4000. Wenige Sätze später gibt es ein Gespräch zwischen Jesus und den
Jüngern unter der Überschrift „Das Unverständnis der Jünger“, Jesus fragt die Jünger
Versteht ihr noch nicht, und begreift ihr noch nicht?. Nach einem weiteren Wunder,
nämlich der Heilung eines blinden Menschen, fragt Jesus die Jünger, für wen sie ihn
halten. Petrus scheint die Erkenntnis zu haben und bekennt vollmundig: Du bist der
Christus.
Aber wieder nur wenige Sätze weiter, als Jesus von seinem kommenden Leidensweg bis
zum Tod spricht, verwehrt sich Petrus dagegen. Dann sagt Jesus zu Petrus einen schroffen
Satz, der so gar nicht zur Vorstellung eines liebenden Jesus passt:
Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh hinter
mich, du Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
Was für ein brutaler Satz, Petrus hat es doch gut gemeint, er wollte nicht, dass Jesus
leiden muss. Wenige Zeit vorher hat Petrus Jesus als den Christus erkannt, jetzt scheint er
wieder nichts verstanden zu haben. Schlimmer als jemanden als Satan zu bezeichnen,
geht es kaum in der damaligen Welt. Der Satan wird in der biblischen Tradition auch
„diabolos“ genannt, also der Durcheinanderbringer. Petrus möchte das bevorstehende
Leiden von Jesus nicht wahrhaben. Er widerspricht Jesus. Wie die Versprechungen Satans
in der Wüste so versucht der Widerspruch des Petrus den Weg Jesu durcheinander zu
bringen.
Jesu Satz klingt zuerst ganz brutal, aber er ist ehrlich und mutet Petrus Konflikt und
Zuwendung in einem zu. Bei Jesus wird nicht ausgeschieden, sondern unterschieden.
Jesus unterscheidet zwischen Petrus und Satan. Als wollte er ihm zusprechen. „Satan! Das
bist doch nicht wirklich du, Petrus.“ Jesus unterscheidet. Und indem er so gnädig
unterscheidet, weist er Petrus auf einen neuen Weg. Das ist die Liebe, die nicht
zurechnet, nicht vergilt, sondern neue Möglichkeiten eröffnet. Sie unterscheidet zwischen
den versucherischen Worten des Petrus und seiner Person. Jesus sagt geh hinter mich.
Damit sagt er nicht „Hau ab!“, sondern „Folge mir nach!“.
Wir wissen, wie die Geschichte von Petrus weitergeht – es bleibt ein Auf und Ab: in
Matthäus 16 sagt Jesus zu Petrus: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine
Gemeinde bauen (…). Vor dem Tod Jesu streitet Petrus noch ab, dass er Jesus verleugnen
wird, wenig später kräht der Hahn und Petrus hat Jesus tatsächlich dreimal verleugnet.
Das ist eine Glaubensbiographie, die uns deutlich macht:
Wir werden immer wieder durcheinandergewirbelt und begegnen der Anfechtung. Der
christliche Glaube ist immer in Bewegung. Wenn wir das Gefühl haben, wir haben Gott „verstanden“, dann zerrinnt uns das später wieder zwischen den Händen, weil Gott so
groß ist, dass wir ihn nicht in unsere Vorstellung packen können. Gott in menschliche
Bilder und Vorstellungen zu pressen, daran ist Petrus gescheitert, daran ist Martin Luther
gescheitert und daran scheitern auch wir.
Nach dem schroffen aber letztlich doch gnädigen Satz zu Petrus spricht Jesus weiter zu
seinen Jüngern und zum Volk:
34 Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und
folge mir nach. 35 Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein
Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten.
36 Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an
seiner Seele Schaden? 37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele
auslöse?

Wieder keine Worte, die sehr einladend wirken. Das klingt wieder nicht nach dem
liebenden Gott.
Wir Christen sind in die Nachfolge des Jesus von Nazareth gerufen. Besonders die vor uns
liegende Passionszeit auf dem Weg zum Karfreitag zeigt uns, dass dieser Weg nicht immer
leicht und bequem ist. Als Glaubende unterwegs zu sein, heißt auch immer wieder in
Anfechtungen zu kommen und durcheinander gewirbelt zu werden.
Das gilt für unseren persönlichen Lebensweg.
Das gilt aber auch für uns als Kirche.
Auch für den Weg der Kirche in die Zukunft gilt, dass es kein leichter Weg ist und wir so
manches Kreuz auf uns nehmen müssen.
Papst Franziskus hat einmal gesagt, dass er die Kirche als „ein Feldlazarett“ sehen will.
Auch das ist Nachfolge: Eine dienende, eine diakonische Kirche nahe an den Menschen
braucht es.
Das Bild des Feldlazaretts bedeutet aber noch mehr: Die Kirche soll wie ein gutes
Krankenhaus auch weitere Aufgaben erfüllen, wie zum Beispiel die Diagnose. Das könnte
bedeuten „die Zeichen der Zeit“ zu erkennen. Beim Feldlazarett geht es aber auch um
Prävention, das könnte für uns als Kirche bedeuten, eine Gesellschaft, in der sich
bösartige Viren der Angst, des Hasses, des Populismus und des Nationalismus verbreiten,
zu immunisieren und sich für den Frieden einzusetzen. Als Feldlazarett sollten wir auch
auf die „Rehabilitation“ achten, das könnte heißen, dass wir zum Beispiel helfen, durch
die Vergebung die Traumata der Vergangenheit aufzulösen. Das alles ist kein leichter Weg,
aber es ist unser Auftrag in der Welt.
Liebe Gemeinde,
Jesus Christus ist mit uns auf unserem Weg durchs Leben. Er fordert uns heraus auf
diesem Weg, stellt uns auch in Frage. Gleichzeitig stärkt und tröstet er uns. Dadurch wird
unser Glaube tiefer. Gerade in den schweren Zeiten des Lebens trägt so ein Glaube.
Nachfolge heißt, die eigene Komfortzone zu verlassen und immer wieder dazuzulernen.
Gerade für die schweren Wege im Leben dürfen wir aber wissen: Jesus ist diesen
schweren Weg gegangen, er hat keine Abkürzung genommen, sondern hat das Kreuz auf
sich genommen. Er ist mit uns – auch mitten in der Anfechtung, in der Hilflosigkeit und in
unserer Ohnmacht. Er scheidet Menschen nicht aus, sondern er unterschiedet gnädig.
Dieser Weg auch in schweren Zeiten gilt auch für uns als Gemeinde, als Kirche: Folgen wir
Jesus nach und sind mitten in der Welt Feldlazarett für die Mühseligen, die Beladenen,
die Suchenden und Fragenden. Und letztlich auch für uns – die wir auch Heilung für
unsere Seelen brauchen.
Amen.

Im Auftrag von Andreas Ballbach

© Gottesdienst-Institut – Lesegottesdienste – Intranet http://www.elkb.de
Verfasser Kirchenrat Michael Wolf
Katharina-von-Bora Str. 7-13, 80333 München
michael.wolf@elkb.de

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